Brezeln, Rotwein und eine Städtepartnerschaft…

Während eines Italienurlaubs fiel mir eine Geschichte ein, welche sich tatsächlich zugetragen hat. Sie ist zwar schon gut und gerne 20 Jahre her und spielt in meiner Heimatstadt. Damals war ich ehrenamtlich in die Organisation einer Städtepartnerschaft zwischen unserer und einer Stadt in Oberitalien, am Fuße des Monte Grappa gelegen, eingebunden (lesen sie dazu auch einen Artikel des Partnerschaftskomitees Mühlacker e. V.): 
Wie das damals kam, weiß ich heute auch nicht mehr so genau. Es muss wohl mit meinem Beruf als Polizist zusammen gehängt haben. Ich erinnere mich noch, dass die Verantwortlichen aus den Stadtverwaltungen und die Ratsherren der beiden Städte sich gegenseitig besuchten. Und da die Vigili Urbani, die Stadtpolizei, in Italien bekanntlich und schon vom Namen her mit zu den Stadtverwaltungen gehört, kam irgendwie also auch die Polizei als solche mit ins Spiel. Und weil eine Städtepartnerschaft, eine Gemellagio, ja bekanntlich wachsen soll, waren die Teilnehmer der gegenseitigen Besuche nicht in Hotels, sondern privat in Familien untergebracht.

Dabei entwickelten sich recht schnell bestimmte Ritualien und Gesetzmäßigkeiten. Jede Familie, egal ob in Deutschland oder Italien, war stets bemüht, für die Gäste das Beste aus Küche und Keller (sofern denn überhaupt einer vorhanden war) zu bieten. Da wurde eingekauft und vorgekocht und die Diskussionen über den Speiseplan drohten zu eskalieren. Eine typisch schwäbische Mahlzeit musste es werden, sollten doch die Gäste einen umfassenden Eindruck unserer schwäbischen Heimat bekommen. Und bekannter maßen gehören dazu die allseits berühmten Spätzle. Mal mit Rostbraten, aber da stellte sich sofort die Frage: ist das dazu vorgesehene Sauerkraut nun typisch oder nicht. Dann gab es die bekannten Schupfnudeln dazu – aber das war ja doch auch wieder mit Kraut! Vielleicht würden die doch so typischen Linsen mit Spätzle etwas mehr Abwechslung bringen? Nun ja, die Spätzle hatten wir doch aber schon gestern zum Rostbraten – nicht enden wollende Diskussionen um einen Speiseplan für Besucher, welche in der Regel am Freitag Nachmittag mit einem Reisebus ankamen und am Montag früh wieder über die Alpen in ihre Heimatstadt am Fuße des Monte Grappa zurück kehrten.

Brezeln für die Städtepartnerschaft

Besuch bei der Vigili Urbani 1982, heute nennt sich die Stadtpolizei Polizia Locale und die junge Kollegin in der Bildmitte ist heute die Polizeichefin von Bassano.
Besuch bei der Vigili Urbani 1982, heute nennt sich die Stadtpolizei Polizia Locale und die junge Kollegin in der Bildmitte ist heute die Polizeichefin von Bassano.

Aber zurück zum Essen. Es hatte sich ja schon herum gesprochen, dass Gäste aus Italien da sind und so wollte auch die Verwandt- und Bekanntschaft ihr Schärflein dazu beitragen, dass sich die Unkosten und Mühen in einem verträglichen Rahmen hielten. Und so kam es wie es kommen musste: Linsen mit Spätzle hielt jeder für DAS typisch schwäbische Gericht, das es galt, den Gästen vorzusetzen. Aber trösten sie sich. Auch bei den Gegenbesuchen in Italien galten diese Regeln. Nur dass es dort keine Spätzle gibt, sondern die allseits beliebte und landestypische Polenta.

Die Hauptsache war, dass es allen schmeckt und die ganze Runde kräftig am Tafeln ist. Und solange die Gäste am Essen waren, konnten sie schon keine Fragen stellen.
Die Sprache war überhaupt kein Problem. Die einen sprachen deutsch, die anderen italienisch. Aber glauben sie nicht, dass die Italiener deutsch konnten oder die Deutschen die italienische Sprache beherrschten – wo denken sie hin! Jeder palaverte in seinem Dialekt und versuchte dem anderen irgend etwas zu erklären. Und so formulierte man an einem Satz, unter Hinzunahme von Bleistift und Papier, rundweg ein bis zwei Stunden. Und die Zeit verging wie im Flug und alle Beteiligten hatten die hellste Freude an den neu erlernten Sprachkenntnissen.
Das ging eine ganze Weile, um nicht zu sagen einige Jahre gut. Aber dann kam der Hang zum Perfektionismus. Wir Deutschen sind ja bekannt und berühmt dafür. Während unsere italienischen Freunde Spaß am palavern und den damit verbundenen Missverständnissen hatten mussten wir, ja waren wir geradezu verpflichtet, die italienische Sprache zu erlernen und zu beherrschen. Konnten wir doch damit unseren Freunden genauestens sagen, wann sie was zu tun oder nicht zu tun hatten oder warum nun gerade dies und nicht jenes typisch deutsch ist. Die Italiener blieben gelassen. Ließen sie uns doch in dem Glauben, ihre Sprache zu sprechen und ihre Mentalität zu kennen. Und unsere sprachlichen Fehlleistungen verziehen sie uns gerne. Mussten wir doch als Gegenleistung uns an ihre sprichwörtliche Gelassenheit gewöhnen. Ich erinnere mich da an ein ganz bestimmtes Wochenende: der Reisebus aus Italien war für 18 Uhr angekündigt und das städtische Begrüßungskomitee hatte für die Ankömmlinge schwäbischen Rotwein und frische schwäbische Butterbrezeln (eine ganz typische Teigspezialität) bereitgehalten. Und da die Brezeln nur dann als frisch eingestuft werden können wenn sie noch warm sind musste das Timing so gesetzt werden, dass die Gäste pünktlich zur festgelegten Zeit auch einzutreffen hatten. Das hatten wir uns mit unserer deutschen Gründlichkeit so ausgedacht und deshalb hatte das auch so zu funktionieren. Und wenn es nach uns gegangen wäre, hätte das auch wunderbar funktioniert. Wir waren mit unserem Rotwein und unseren Brezeln zum vereinbarten Zeitpunkt am großen Parkplatz am Hallenbad. Dort kamen üblicherweise immer die Busse mit den Besuchern an. Mittlerweile waren es schon nicht mehr nur Besucher, nein es waren Freunde geworden und die Jahre zuvor vereinbarte Partnerschaft, die Gemellagio lebte und funktioniert recht gut.
Also wie gesagt, um 18 Uhr war die Ankunft vereinbart und alles stand erwartungsvoll auf dem Parkplatz. Nun ja, es war bereits 18 Uhr vorbei und der Bürgermeister unserer Kleinstadt, ein Mann von Welt der sich auskennt, bemerkte, dass die Italiener doch für ihre Unpünktlichkeit bekannt seien, das wisse man doch. Es könne durchaus auch eine Viertelstunde später werden. Angemerkt sei, dass sich die Geschichte zu einer Zeit zugetragen hat, als man noch keine Mobiltelefone kannte und die Autotelefone, das sogenannte C-Netz, allerhöchstens einem Minister oder dem Chef einer der großen schwäbischen Automarken vorbehalten blieb. Also warteten wir auf unsere Freunde aus der Partnerstadt südlich der Alpen. Um 19 Uhr waren die ersten Wartenden schon wieder zurück auf dem Parkplatz, weil sie zuhause bescheid gesagt hatten, damit die Ehefrau mit dem Essen für die Gäste noch warten müsse. Und ab halb acht Uhr war die Telefonzelle an der Ecke zur Turnhalle permanent belegt um besorgt schimpfende Ehefrau über den neuesten Stand der Dinge, den genau genommen ja eigentlich niemand kannte, zu unterrichten. Um acht Uhr hatten die ersten Wartenden sich dann um die Butterbrezeln gekümmert. Schließlich konnte man das mittlerweile kalt gewordene Laugengebäck ja keinem Besuch mehr anbieten. Und sollte man denn nicht den Rotwein vorher probieren? Schließlich muss man doch wissen und kennen, was man seinen Gästen vorsetzt! Nicht dass niemand Vertrauen in die Stadtverwaltung und das Begrüßungskomitee gehabt hätte welche den Wein und die Brezeln besorgten – aber sicher ist sicher. Und als dann unsere Freunde gegen 23 Uhr eintrafen fiel die Begrüßung für diese zwar recht trocken aber dafür um so herzlicher aus. Die Freunde hatten mit dem fehlenden Wein und den Brezen aber keinerlei Probleme. Sie hatten sich während der Anreise unterwegs kurzerhand entschlossen in München im Hofbräuhaus einen Zwischenstopp einzulegen. Deshalb also die aus ihrer Sicht doch nur geringfügige Verspätung von rund fünf Stunden. Ich hatte aber alle Mühe, meiner holden Gattin die italienische Gelassenheit und vor allen Dingen meine Rotweinfahne zu erklären. Und das alles für die Städtepartnerschaft…